Das perfekte Reframe erkennt man nicht – wie Edeka die Wahrnehmung neu programmierte (und warum Marken mehr sind als Kampagnen)

1 · Einleitung: Reframing ist kein Redesign

Reframing ist kein neuer Anstrich, sondern eine neue Sicht auf das Alte. Es verändert nicht das Produkt, sondern die Wahrnehmung – also das mentale Bild, das Menschen im Kopf haben. Psychologisch bedeutet Reframing: derselbe Inhalt bekommt einen neuen Kontext. Forscher wie Daniel Kahneman und Amos Tversky zeigten, dass kleine Änderungen in der Darstellung unsere Entscheidungen massiv beeinflussen. Dasselbe Produkt kann – je nach Frame – nach „Risiko“ oder „Chance“ klingen, nach „billig“ oder „clever“. Und genau hier beginnt die Kunst des Marketings: den richtigen Rahmen zu schaffen, ohne die Realität zu verlieren.

2 · Vom Versorger zum Verführer

Kaum eine Marke hat das so behutsam umgesetzt wie Edeka. Früher war sie: der Supermarkt um die Ecke, solide, zweckmäßig, austauschbar. Heute: emotional, stolz, regional – ein Ort, an dem Qualität Haltung bekommt. Das geschah nicht über Nacht, sondern über Jahre. Jede Maßnahme war ein kleiner Schritt im neuen Frame: Kampagnen wie „Supergeil“ oder „Heimkommen“ verlagerten den Fokus von Preis auf Gefühl. Märkte wurden umgestaltet, Licht, Holz, schwarze Tafeln, Regionalhinweise – ein Design, das Nähe und Wertigkeit signalisiert. Mitarbeiter wurden zu Gastgebern, nicht Verkäufern. Das Ergebnis: kein Bruch, kein neues Logo– sondern ein stiller Identitätswechsel.

3 · Design als unbewusster Verstärker

Schwarzes Einwickelpapier bei Käse und Fleisch. Holz statt Plastik. Es sind keine Deko-Entscheidungen, sondern gezielte psychologische Reize. Dunkle Farben wirken wertiger (Kontrastprinzip), natürliche Materialien signalisieren Vertrauen (Limbic Map: Balance & Sicherheit). So wird aus dem simplen Einkauf ein Erlebnis, das an eine Markttradition erinnert und doch modern bleibt. Aber: Reframing endet nicht am Regal. Wenn Kunden tauende Ware in Collies sehen, zerbricht der Frame. Denn: Wenn man etwas liebt, stellt man es nicht in Collies. Wirkung entsteht durch Konsequenz, nicht durch Kulisse.

4 · Der psychologische Tausch

Jedes Reframe ist ein Deal zwischen Marke und Kunde. Der Kunde gibt Vertrauen, die Marke liefert Orientierung. Doch dieses Gleichgewicht ist empfindlich. Wenn Anspruch und Realität auseinanderfallen, entsteht kognitive Dissonanz (Festinger): ein Unwohlsein, das unbewusst Vertrauen frisst. Darum gilt: Reframing ist kein Werbetrick, sondern eine Haltung. Es muss im Verhalten, im Service, im Produkt gelebt werden.

5 · Lehre für Markenstrategen

Ein Reframe funktioniert nicht, weil eine Agentur es plant – sondern weil das Unternehmen es lebt. Design, Story, Service und Struktur müssen dieselbe Sprache sprechen. Erfolgreiches Reframing ist kein einmaliges Projekt, sondern ein Kreislauf aus Wahrnehmen, Anpassen, Wiederholen. Oder anders gesagt: Ein Reframe ist lebendig – so lebendig wie die Menschen, die es tragen.

6 · Fazit Edeka hat gezeigt, dass Wandel funktioniert, wenn man ihn leise erzählt.

Doch jedes Reframe bleibt eine Gratwanderung und psychologisch gesehen ein Balanceakt: zwischen Emotion und Echtheit, zwischen Versprechen und Verhalten. Wer die Mechanik versteht, kann sie nutzen – ohne sie zu missbrauchen. Das perfekte Reframe erkennt man daran, dass niemand merkt, dass es passiert ist. Und der Erfolg bleibt fragil, wenn Kunden in den Märkten tauende Waren oder fehlende Thermo-Collies sehen würden, bräche der Frame. Das Versprechen muss im Verhalten täglich gelebt werden, sonst entsteht Dissonanz.

Das ursprüngliche Edeka-Framing war rein funktional: Preis, Sortiment, Nähe. In den 1980er- und 1990er-Jahren positionierte sich Edeka als klassische Händlergenossenschaft – „der Supermarkt um die Ecke“. Kommunikation: nüchtern, sachlich, mit Fokus auf Angebot und Preisaktion. Der entscheidende Wandel kam ab 2005 mit dem Claim „Wir lieben Lebensmittel“ (Agentur Jung von Matt). Damit vollzog Edeka ein komplettes Reframing: Von: „Wir verkaufen Produkte“ Zu: „Wir stehen für Leidenschaft, Qualität und Genuss.“ Psychologisch war das brillant, weil der Frame von Rationalität auf Emotionalität wechselte – weg von „Einkauf“ hin zu „Erlebnis“. Damit konnte Edeka plötzlich gegen Discounter bestehen, obwohl die Preise höher waren.

Ergänzend aktivierte man gezielt Limbic-Motive (nach Häusel):

  • Balance → Vertrauen, Nähe, Regionalität
  • Stimulanz → Genuss, Erlebnis
  • Dominanz → Stolz, Qualität, Marke

Die Kampagnen (z. B. Weihnachtsfilme, Regionalitätsspots) sind Musterbeispiele für Emotional Branding mit kulturellem Kontext – ähnlich wie Hornbach, aber wärmer, weniger ironisch.

Edeka hat es mehrfach geschafft, denselben Claim („Wir lieben Lebensmittel“) unterschiedlich zu framen, je nach Zeitgeist – ohne den Markenkern aufzugeben. Das ist selten. Andere Handelsmarken verlieren bei solchen Sprüngen ihre Glaubwürdigkeit; Edeka hat sie gefestigt und über 15 Jahre hinweg mehrere starke Reframing-Phasen durchlaufen, jeweils mit Jung von Matt als Partner. Die wichtigsten:

  1. „Supergeil“ (2014) – Humor & Popkultur
  2. Bruch mit dem bieder-deutschen Händlerimage. Edeka wird ironisch, modern, teilbar. Emotionaler Frame: Selbstironie + Genusskultur.
  3. „Heimkommen“ (2015) – Emotionalisierung durch Storytelling
  4. Weihnachtsfilm über einen einsamen Großvater, der seine Familie durch eine List zum Fest zurückholt.
  5. → Frame-Wechsel: Von Marke = Händler → Marke = Familienmoment.
  6. → 60 Mio Views, internationales Medienecho, mehrfach ausgezeichnet.
  7. „Eatkarus“ (2017) – Metapher für Esskultur
  8. Animierte Geschichte über einen Jungen, der fliegen lernt, weil er gesund isst.
  9. → Frame: Selbstbestimmung durch Ernährung.
  10. → Markenbotschaft: Lebensmittel = Lebensenergie.
  11. „Wir & Jetzt für mehr Nachhaltigkeit“ (ab 2019)
  12. Edeka reframed sich erneut als Nachhaltigkeitsakteur.
  13. → Neue emotionale Schiene: Verantwortung, Transparenz, Regionalität.
  14. → Wieder Anknüpfung an Häusels Limbic-Motive Balance und Vertrauen.
  15. „Edeka liebt alle“ (2021) – Diversity-Frame
  16. Kommunikation von Vielfalt und Inklusion, bewusst gegen Polarisierung im Lebensmitteleinzelhandel gesetzt.

Alle genannten Marken, Produkte und Logos sind Eigentum der jeweiligen Rechteinhaber. Die Nennung dient ausschließlich der redaktionellen und analytischen Auseinandersetzung im Rahmen des Projekts Citylights Insights. Wir lieben Marken und suchen uns immer großartige Marken aus, ohne diese belehren zu wollen. Es geht uns um Beispiele, wie Werbung für uns funktioniert. Diese Rubrik gibt unsere fachliche Meinung und Erfahrung wieder und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Fehlerfreiheit. Es besteht keinerlei Verflechtung mit den genannten Unternehmen.

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